Dienstag, Juni 14, 2016

ZWEI ÜBERFAHRTEN - „Überfahrt am Schreckenstein“ und „Einschiffung nach Kythera“

Die eine Überfahrt machen alle Menschen. Die andere Überfahrt wünschen sich viele, aber sie bleibt ein Traum.Wo die beiden Überfahrten stattfinden, zeigen zwei bekannte Gemälde. die in einem Abstand von mehr als hundert Jahren entstanden sind. Besonders wegen des Abstands ihrer Entstehung in zwei historisch und kulturell unterschiedlichen Epochen reizen die Gemälde, die beide eine Überfahrt im Schiff zum Thema haben, zu einem Vergleich. 


„Überfahrt am Schreckenstein“ 

1834, Gemälde von LUDWIG RICHTER (1803 – 1884)


Als erstes fragt man sich wohl: 
Ist die ‚Burg Schreckenstein’ Wirklichkeit oder handelt es sich um Fantasie und Einfall eines Malers?
Die Burg mit dem Namen ‚Schreckenstein’ gibt es wirklich, auf einem steilen Felsen über der Elbe im heutigen Tschechien, früher Böhmen. Sie wurde bereits um 1300 zur Überwachung des wichtigen Schifffahrtweges erbaut.
Die malerische Burganlage, mehrfach bei Angriffen beschädigt und wieder ausgebaut, schließlich auch mit einer Gaststube, wurde in der späten Romantik zum beliebten Sujet von unbedeutenden und von bedeutenden Malern wie CASPAR DAVID FRIEDRICH und LUDWIG RICHTER.
LUDWIG RICHTER, der die Elb-Landschaften intensiv erwanderte, besuchte um 1834 auch die Burg Schreckenstein auf dem Felsen, liebte aber besonders ihren Anblick vom Fluss aus in steiler Perspektive.
Man kann annehmen, dass eine Fahrt auf dem Fluss bei ihm die Inspiration zu seinem Gemälde ausgelöst hat. 
Aus der Inspiration entwickelte RICHTER offensichtlich ein Programm für sein Gemälde, das man meint, auf den ersten Blick erkennen zu können: 
In einem Kahn versammelt der Maler eine Gesellschaft aus ausgewählten Lebensaltern, die bei ihrer Überfahrt im Anblick des Schreckensteins in ganz verschiedenen Posen schweigend in ernste Gedanken verfallen. RICHTER fordert in seinem Bild den Betrachter heraus, Posen und Mimik der dargestellten Personen zu deuten.
Für seine Idee wählt RICHTER sieben Lebensalter aus, von denen das jüngste Alter, ein kleiner Junge, verträumt über den Bootsrand lehnt und einen Zweig spielend durchs Wasser zieht. 
Als zweites Lebensalter setzt der Maler, in die Mitte des Kahns, ein innig sich zugeneigtes Liebespaar. Hinter den beiden Liebenden schaut eine junge Mutter mit ihrem Kind im Arm neugierig auf die Verliebten, als denke sie daran, ob diese beiden wohl die gleichen Erfahrungen wie sie in ihrer Mutterschaft machen würden. 
Eine einzige Person lässt der Maler im Kahn aufrecht stehen. Ein kecker junger Wandersmann betrachtet mit herausforderndem Blick den vor ihm aufragenden Schreckenstein. An seinem Hut stecken Blumen. Zu seinen Füßen sitzt ein junger erwachsener Mann, der aber gar nicht keck, sondern mutlos gestimmt seinen Kopf in die Hand stützt.
Das Heck des Schiffes füllt ein älterer, bärtiger Landmann mit seiner Pfeife im Mund. Sein Blick richtet sich ruhig auf den Felsen mit der Burg.
Im Bug des Schiffes thront ein alter Harfner mit Schlapphut und seinem großen Instrument. Sein Ohr an die Saiten gelehnt, horcht er mit Ernst den Tönen nach, die seine Finger greifen. In seinem weiten schwarzen Umhang und Hut, mit weißen Locken, wirkt er bedeutend wie eine Märchenfigur. Die Töne der Harfe scheinen die einzigen Laute in dem Bild. Alle Personen schweigen, niemand lächelt, jeder wirkt versunken in sein Inneres, beschäftigt mit eigenen Gedanken.
Worüber?RICHTER sagt es überdeutlich mit der Komposition und dem Titel seines Gemäldes: Es geht im Bild wohl um den Schrecken vor dem Tod. 
Die Überfahrt zum Schreckenstein – zum Stein für das Grab - ist die letzte und unvermeidliche Fahrt aller Menschen am Schluss der Lebensreise.
Noch in der deutschen Romantik geboren (1803), verwendet LUDWIG RICHTER in seinem Bild romantische Symbole, um den Lebenslauf des Menschen und sein Ende darzustellen: das Wasser, den Kahn, die Fahrt, den Fels.
Mit solchen Symbolen kann der Maler die Szene für seine Bild-Idee komponieren. Die Idee heißt wohl: Wie reagieren Menschen in Mimik und Gestik auf Gedanken an den Tod? Deutlich trennt RICHTER dabei nach den Lebensaltern. Dem kleinen Jungen, den jung Verliebten, der jungen Mutter mit ihrem Kind traut RICHTER keine Belastung durch Todesgedanken zu; sie sind mit ihrem aufsteigenden Leben beschäftigt. 

Den Knick setzt der Maler mit der Gestik des kecken jungen Wandersmanns. Dem Jüngling ist der Schreckenstein mit seinem Hintergrund an Assoziationen bei dieser Überfahrt wohl ins volle Bewusstsein gerückt. Dem Schreckenstein stellt der junge Mann mit herausfordernder Mimik seinen Lebensmut und -Übermut entgegen. 

Wie genau RICHTER die Gestaltung seines Bildes kalkuliert hat, zeigt ein Vergleich zwischen der Pose des jungen Mannes und dem Umriss der Burg auf dem Felsen. Wie der Jüngling aufgereckt im Kahn steht, reckt sich der Bergfried über die Nebengebäude der Burg; mit steilem Abfall nach links, entsprechend dem zusammengekauerten Mann vor dem Jüngling. Ein kleinerer Neuanstieg links im Gemäuer entspricht der Spitze der Harfe im Kahn. Der Umriss im Kahn ist gespiegelt im Umriss der Burg.
Das Gegenteil zu dem aufrecht stehenden jungen Wandersmann mit Blumen am Hut ist der gekrümmte Erwachsene, dessen Hand den Kopf stützt. Der Ausdruck seines Gesichts ist leer; vielleicht schaut er mit Schwermut dem kleinen Jungen und seinem Spiel zu.Das Heck des Kahns füllt ein älterer, bärtiger Landmann mit seiner Pfeife im Mund. Sein Blick richtet sich ohne Unruhe auf den Felsen mit dem Schreckenstein. 
Der Harfner, der am Kiel des Schiffs sitzt, schmückt das Gemälde am meisten; seine imposante Person an der Harfe scheint eine ganze Geschichte zu erzählen. Spielt er sich an seiner Harfe die Geschichten seines Lebens vor oder die zukünftigen Geschichten, von denen er nichts weiß und an denen er mit dem Zupfen seiner Saiten herumrätselt? Wäre sein Spiel fest und fröhlich, könnte es den bedrückten Mitfahrer zu seinen Füßen aufmuntern. Sein Harfenspiel scheint träumerisch zu sein. Sicherlich fällt ihm ein, dass er sehr bald vor dem Schreckenstein stehen wird. Und dann?
So oder ähnlich ließe sich Gestik und Mimik der verschiedenen Lebensalter im Kahn deuten.
LUDWIG RICHTER stellt dem Betrachter hier wohl seine eigene Gestimmtheit in Variationen vor. Dabei geht RICHTER von seiner Erfahrung als Künstler aus. Nach seiner Überzeugung übt die reale Welt mit ihren Erscheinungen einen Stimmungsreiz auf die Seele des Künstlers aus, den dieser in seinem Kunstwerk wider gibt. (Zitat RICHTER: „Die Kunst ist nur der beseelte Widerschein der Natur aus dem Spiegel der Seele“) 
In seinem Gemälde erscheint also nicht die Wirklichkeit, sondern deren Spiegelung in der Seele des Malers LUDWIG RICHTER. 

Es wirkt so, als habe der Anblick der Burg auf dem Felsen bei RICHTER eine melancholische Nachdenklichkeit ausgelöst, mit der er sich im Bild auseinander setzt. Anzeichen einer melancholischen Stimmung finden sich im Bild wieder: Auffällig ist die Bewegungslosigkeit: die Posen der Personengruppe wirken wie auf einen Schlag erstarrt. In der Farbgebung des Bildes dominieren gebrochene Halbtöne. Statt einem malerischen Gewebe von Farben und Schatten wird das zeichnerische Mittel von steifen Konturen gewählt. Die Gesamtstimmung des Gemäldes ist früh abendlich gedämpft. Lebenslust ist dem Gemälde nicht zu entnehmen.

Neben den verhaltenen Emotionen im Bild fällt die Rationalität der Komposition auf. Die Komposition des Bildes wirkt erdacht, nicht erlebt. Rationalität ist zwar ein bewährtes Mittel zur Abwehr von bedrängenden Emotionen, aber die Emotionen hier erscheinen zu gemäßigt, um dieses Mittel nötig zu haben. Die Rationalität der Komposition entspringt wohl eher einem psychologisierenden Drang des Malers, verschiedene Gedanken über den Tod, durch Aufspaltung in Lebensalter, als Varianten zu erforschen. 

Für die Stimmung des Gemäldes spielt seine Entstehungszeit eine Rolle. Das Gemälde entstand 1834, im so genannten deutschen BIEDERMEIER (Um 1815-1848). Das Biedermeier war eine Folge der damaligen politischen Verhältnisse in Deutschland. Nach den Siegen des Emporkömmlings NAPOLEON über die deutschen Kleinstaaten, seinem Ritt nach Russland und seiner endgültigen Niederlage in WATERLOO (1815) setzten sich die alten Mächte Europas auf dem WIENER KONGRESS zusammen unter Führung des österreichischen Außenministers Fürst von METTERNICH. Man wollte die Uhr zurück drehen und die vor-revolutionären Verhältnisse in den europäischen Monarchien wieder herstellen.

Der Kongress tagte und tanzte endlos, aber erzielte nur sehr schwer Übereinkünfte. 
Um wenigstens die breite Bevölkerung als Stimmungsstörer für den Kongress auszuschalten, veranlasste METTERNICH eine Zensur für alle öffentlichen politischen Meinungsäußerungen.
Die Intellektuellen und der kleine private Mann hatten von da an öffentlich über Politik zu schweigen.
Geduckt unter dieses Verbot und entmutigt durch die militärischen Niederlagen, hatte sich in Deutschland eine Rückzugsbewegung in die Bescheidenheit der reinen Privatsphäre entwickelt, der man den Spott-Namen ‚Biedermeier’ anheftete. Man zog sich zurück in Heim und Familie. Man pflegte Garten und Stube, bevorzugte kleine unkonventionelle Geselligkeiten, liebte und entwickelte Hausmusik, gern am Klavier, das im Zimmer stand, und sang gefühlvolle Lieder eines großen Mannes: FRANZ SCHUBERT. GOETHE und BEETHOVEN sind Namen der Epoche.
Eine bequeme schlichte – schöne - Möbelkultur entstand für einen gemütlichen Feierabend, bei dem man seine eigenen Gedanken schweifen lassen durfte. Der deutsche Begriff: "Gemütlichkeit" ist wahrscheinlich in dieser Epoche entstanden. 
Das Gemälde ‚Schreckenstein’ von LUDWIG RICHTER trägt deutliche Spuren der Biedermeier-Zeit. Das Interesse des Malers gilt der innerlichen Verfassung seiner Personen, deren Mimik und Gestik einen vagen Aufschluss geben über ihre Gedanken vom Tod. 
Das Thema ist so unpolitisch wie möglich, trägt die leise Melancholie der existentiellen Frage und ist sehr ordentlich gemalt.
Man merkt, RICHTER will mit seinem Bild verstanden werden. Das Erleben des Bildes tritt zurück. Der Deutlichkeit seiner Bildidee entspricht die Klarheit des Stils. In realistischer Manier erscheinen Personen, Kleidung, Landschaft, Dinge. Beinahe schon fotographisch genau wird der ruinöse Zustand des Felsens, seine Platten, Abbrüche und Überhänge, die Wasser-Rinnen, das kristallharte Material des Felsen-Kerns im Gemälde sichtbar. 
Zur Entstehungszeit von RICHTERS Bild hatte sich in Deutschland der romantische Stil zu einem stimmungsvollen Realismus verändert, bei dem Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Darstellung angestrebt wurden. 
Dieser gefühlsgefärbte Realismus am Ausgang der Romantik kam RICHTER nach Ausbildung und Neigung entgegen. Seine Ausbildung hatte er bei seinem Vater, einem Zeichner und Kupferstecher, begonnen und vervollständigt durch ein Studium an der Kunstakademie in Dresden. Den Schwerpunkt seiner Begabung zeigten zunehmend seine zeichnerischen 
Fähigkeiten als Buchillustrator. Um 1840 illustrierte er eine Ausgabe: „Volksmärchen der Deutschen“, die als eine der schönsten Buch-Illustrationen des 19.s. gilt und RICHTERS Ruhm begründete. 
Die illustrative Begabung RICHTERS deutet sich auch in dem Gemälde ‚Schreckenstein’ an. RICHTER verbindet hier Realistik mit betonter Symbolik; er illustriert seine Idee. An dem auffälligen Arrangement im Kahn erkennt man sehr bald seine Absicht, die Personen zu einer Spiegelung von Gedanken zu benutzen. Eine leicht erkennbare konzeptionelle Idee ist nicht immer eine Qualität für eine Malerei. Der Betrachter soll ja selbst nach dem Geheimnis eines Bildes und seiner Bedeutung forschen und das zur Erhöhung seines Genusses herausfinden.
Mangel an Geheimnis, zu deutlicher Hinweis auf eine Bild-Idee, Bevorzugung der zeichnerischen Mittel bis zur Erstarrung, könnten als Einschränkung für die Qualität des Gemäldes von LUDWIG RICHTER angesehen werden.
Seine Gedanklichkeit verführt ihn dazu, das Gemälde bei dem Betrachter zu einem Lehrstück für Interpretation werden zu lassen. Erleben kann man dieses Bild nicht.

Einen deutlichen Kontrast dazu bietet in vielerlei Hinsicht das Gemälde von ANTOINE WATTEAU:


„Einschiffung nach Kythera“  

um 1714-17, Gemälde von ANTOINE WATTEAU (1684 -1721)


Als eine Gemeinsamkeit haben beide Gemälde eine Überfahrt in Form einer Schifffahrt zum Thema.
Zwischen der Entstehung beider Gemälde liegen mehr als hundert Jahre.

ANTOINE WATTEAU, der französische Maler, hat die ‚Einschiffung nach Kythera’ am Ausgang des französischen Barock, in der Periode des Rokoko gemalt.Der Stil des französischen Barock war ein Klassizismus. Charakteristisch für seine Kunstwerke war die Vorliebe für Motive und Themen der Antike.

LUDWIG XIV. (1638-1715) führte mit seinem Lebensstil den französischen Barock zum Höhepunkt. Unter der Regierung des absolutistisch auftretenden ‚Sonnenkönigs’, - Vorbild eines bewunderten Monarchen in ganz Europa -, hatte sich eine höfische Kultur entwickelt, die absolut verschwenderisch, aber kulturell und politisch fruchtbar war. Man nannte diese Epoche später das ’Ancien regime` der Bourbonen. 
Der exzellente, aber auch öfter die Partei wechselnde französische Diplomat TALLEYRAND (1754 -1834) schrieb dem ‚Ancien Regime’ den vielleicht schönsten Nachruf: „Wer das Ancieme Regime nicht kannte, wird niemals wissen können, wie süß das Leben war.“
Ein Geschmack von dieser Süße findet sich in dem Gemälde WATTEAUS ‚Einschiffung nach Kythera’; ebenso die charakteristische Wahl eines antiken Motivs. 
Die kleine Insel Kythera, vor dem südöstlichen Zipfel des Peloponnes, gibt es wirklich. Sie gehört heute zum Staat Griechenland und ist ein ödes Eiland, dessen Bewohner auswandern. 
Welchen Grund hatte WATTEAU, den Namen dieser struppigen Insel zum Motiv für ein Gemälde zu machen? Die Vorliebe des französischen Barock für mythologische Motive der Antike könnte ein Hinweis sein. 

KYTHERA war in der Antike berühmt!
Die Insel hatte einen großen Namen als mythologischer Ort. Sie soll (-konkurrierend mit ZYPERN-) der Geburtsort der APHRODITE, Göttin der Schönheit und Liebe, gewesen sein. 
Die Geburt der Aphrodite schrieb man dem Schaum um die abgehauenen Genitalien des URANUS, Urvater der Götter, zu. Seine Söhne hat ten sich mit Abschlagen seines Glieds für alle Grausamkeiten des Vaters gerächt. Das abgehauene Glied fiel bei Kythera ins Meer und verschaffte der Insel ihren mythologischen Ruhm. Die „Schaumgeborene“ Venus/Aphrodite wurde hier geboren!
Der Mythos der Insel könnte für Watteau reizvoll gewesen sein, weil er den leisen Wandel seiner Epoche und ihrer Sehnsüchte spürte.  Nach fast 50-jähriger Regierungszeit war LUDWIG XIV. 1715 gestorben. 
Er war als Kriegsherr ebenso maßlos gewesen wie als Veranstalter von Festen in seinem Schloss in Versailles. Fast allabendlich ließ er dort Theater oder Feste arrangieren, zur Unterhaltung des Hochadels, um diesen von Kritik an seinem selbstherrlichen Regierungsstil abzulenken. Nun war LUDWIG XIV. tot. Sein Urenkel übernahm nach kurzer Übergangszeit als LUDWIG XV. die Regierung.
Da waren alle Spiele gespielt und alle Feste gefeiert und zur Gewohnheit geworden. Das achtzehnte Jahrhundert langweilte sich!
Jetzt verlangte das gelangweilte Jahrhundert vom Künstler etwas ganz Neues: Er sollte zaubern, neue Welten schaffen, die jenseits der sich immer wiederholenden langweiligen Realität lagen.
Der sensible WATTEAU, (- todkrank an TBC- ) fühlte sich in diese Wunschvorstellung ein.
Er schuf eine Bilderserie, die zwar keine geschlossene Handlung erkennen ließ, aber die erwartungsvolle und festliche Stimmung einer noblen Gesellschaft zeigte, die im Begriff war. sich auf die „Liebes-Insel“ KYTHERA, wie Watteau sie nannte, einschiffen zu lassen. 
In seiner Bilderserie wurde erfüllt, was sich das gelangweilte 18, Jahrhundert gewünscht hatte: Die Vorgaukelung eines glücklichen Landes für konfliktfreie, freie Liebe, die Erfüllung einer Sehnsucht pur nach einem irdischen Paradies. 
WATTEAU hatte in seinen Gemälden diesen Paradies-Klang zur Darstellung gebracht, und das auf höchstem künstlerischen Niveau. 
Bei Vorlage seiner Bilder vor der königlichen Akademie verstanden die Gutachter nicht den Titel WATTEAUS „Einschiffung nach Kythera“. Sie veränderten den Titel der Gemälde in „Fetes galantes“ und unter diesem Namen wurde ihr Schöpfer JEAN WATTEAU weltberühmt. Die prächtigste Fassung der Gemälde kaufte Friedrich der Große an. Sie befindet sich heute in den Gemäldesammlungen von Potsdam. 
Auf der Berliner Fassung des Gemäldes findet man die prächtigen Festroben der Abendgesellschaften in Versailles wieder. Zwischen der seiden gekleideten Gesellschaft flattern auf dem Gemälde kleine Engelsbuben umher. Am Bildrand rechts erhebt sich eine Marmorstatue, die sich weich wie ein lebendiger Körper über anschmiegsame Engelchen beugt. Im Dunst der Ferne liegt schemenhaft eine prächtig aufgerüstete Barke. vor der sich Paare zum Einstieg versammelt haben und kleine Engel um den Mast flattern. Bei solcher Mischung von himmlischem und irdischem Publikum konnte der Himmel nicht weit sein. 

Die Farbkraft des Gemäldes ist von bezauberndem Schmelz. Den farbigen Reichtum der Kostüme in Verbindung mit den Vegetationsfarben nutzt WATTEAU, um ein dichtes Gewebe von leuchtenden Partien und dunkleren Schatten zu erzeugen. Im Kontrast trennt sich eine helle, undendliche Ferne von einem dunkel umfassten Vordergrund. Die Süße der Gefühle der Gefühle drückt sich in der Geschmeidigkeit der ineinander verschlungenen Personengruppen aus. Die Ausstattung des Gemäldes zeigt, dass die ‚Einschiffung nach KYTHERA’ ein Traum-Land darstellt, eine ‚Liebes-Insel’ des 18. Jahrhunderts, eine Erscheinung jenseits aller Realität - wie es sich die Gesellschaft einer ausgehenden verschwenderischen Epoche gewünscht hatte.
Mit solchen ästhetischen Illusionen vertrieb sich die feudale Gesellschaft ihre Zeit bis zur großen Revolution (1789) – D
ann stieg sie aufs Schafott.

In seinem Gemälde arrangiert WATTEAU in einer lockeren Ordnung eine Art von S-förmig geschwungener Bühne über einem struppigen Wiesenhügel. An der flach auslaufenden Neigung der Bühne hat sich eine größere Menge von Personen vor dem Schiff versammelt. Auf dem oberen Schwung des Wiesenhügels hat WATTEAU vier Liebespaare platziert, deren Gestik, Mimik und Kostüme für den Betrachter deutlicher zu erkennen sind als bei der Menge unten

Bei diesen Liebespaaren fallen die zärtlichen galanten Gebärden auf. Beim einen Paar liegt die Dame im Schoß ihres Gefährten, der anderen flüstert ihr Partner liebevoll etwas zu. Die dritte wird vorsichtig vom Lager gehoben und die vierte von ihrem Kavalier galant um die Taille gefasst, um mit zu gehen zum unten wartenden Schiff.
Hier fixiert WATTEAU einen kulturellen Fortschritt der ausgehenden feudalen Epoche: den wachsenden Respekt und die erhöhte Achtung vor der Frau, der der männliche Partner mit entsprechend galantem Verhalten begegnete. 
Das männliche Idealbild des ausgehenden Barock war der geistvolle, feinsinnige Höfling mit sensiblem Respekt vor dem weiblichen Geschlecht.
Auffällig an den Paaren im Bild sind die kostbaren Kostüme, die mit ihrer seidigen Pracht in den Ballsaal eines Schlosses zu passen scheinen, nicht aber auf einer struppigen Wiese zu erwarten sind!
Mit dem Arrangement einer festlich kostümierten Gesellschaft in freier Natur erspürte WATTEAU die neue Stimmung des Rokoko. Die Darstellung von galanten Festen in der freien Natur gefiel der verwöhnten adeligen Gesellschaft als Abwechslung vom Hofleben sehr.
Die ‚Fetes Galantes’ wurden wohl in Wirklichkeit selten in der ungezähmten Natur ausgeführt, aber die feudalen Damen und Herren spürten entzückt den Anreiz dazu. 
Der Kritiker der höfischen Künstlichkeiten, JEAN JAQUES ROUSSEAU (1712 -1778) war nicht mehr weit mit seinem Mahnruf an die Gesellschaft:
„Zurück zur Natur!“

Diese Tendenz einer neuen ambivalenten Zuwendung zur freien Natur glaubt man dem Gemälde entnehmen zu können - mehr nicht.
Das Gemälde behält das Geheimnis seiner Handlung für sich. Es verrät dem Betrachter wenig und lässt ihm damit die Freude, selbst etwas zu entdecken vom Geist dieser fernen Epoche.

Im Vergleich spiegeln die beiden Gemälde von LUDWIG RICHTER und ANTOINE WATTEAU den Geist ihrer Entstehungszeiten: Das Gemälde von Watteau den traumhaften Lebensgenuss des französischen Ancien-Regime; das Gemälde von LUDWIG RICHTER die gedämpfte Melancholie der Biedermeier-Epoche in Deutschland.

Ohne Zweifel spielt das Talent des jeweiligen Künstlers die entscheidende Rolle für die QUALITÄT eines Kunstwerks. 
Genie und Begabung des ANTOINE WATTEAU, des größten Malers im französischen Rokoko, wird von LUDWIG RICHTER in keiner Weise erreicht.

Aber beide Künstler setzen sich in ihrem Gemälde mit der gleichen Frage auseinander - der Frage, wie man sich ein dauerhaft gutes Leben schaffen könnte. 

LUDWIG RICHTER scheint die Grundbedingung für ein gutes Leben in der ruhigen und bewältigten Akzeptanz des unvermeidlichen Lebensendes zu sehen.
ANTOINE WATTEAU beschreibt, wie man ein gutes Leben mit Illusionen führen könnte, z.B. mit der Illusion einer Reise in ein Land der ewigen harmonischen Liebe.

Mehr Recht auf seiner Seite hat wohl LUDWIG RICHTER. Die Übung am Tod kann dem Leben mehr Ruhe verschaffen … ob die Übung auch gelingt?

Eine LÖSUNG bieten beide Konzeptionen nicht; weder das sich Abfinden mit dem Tod noch die Flucht in Illusionen.

IMMANUEL KANT, der Vernünftige, sagt:
„Aus so krummen Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“

Das ist eine mögliche Antwort, warum für den Menschen ein beständig gutes Leben kaum möglich ist; er ist aus zu krummem Holz gemacht, als das etwas GANZ Gerades aus dem Leben werden kann.

Wer Glück hat, bei dem überwiegen die glücklichen Ereignisse im Leben die unglücklichen.